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Stefan Burger - trompe l'oeil im Kunstmuseum

Ausstellungsansicht

Im großen Stil der barocken illusionistischen Wandmalerei öffnete der Fotograf Stefan Burger die Wände des Kunstmuseums Stuttgart auf einen neuen, unerwarteten Raum. Auf zwei vom Parkett bis zur Decke reichenden fotografischen Bildflächen wird das Künstliche mit dem Realen täuschend vermischt. Der neue Raum bleibt unbeleuchtet, die einzelne, an einem langen weißen Kabel von der Decke hängende Glühbirne ist ausgeschaltet. Das vom Museum her fallende Restlicht kann lediglich ein paar Meter erhellen, danach versinkt alles in tiefer, samtener Dunkelheit.

Wie die barocken Prospekte ist auch dieser Raum theatralisch inszeniert. Der Titel bringt noch konkretere Information: Zu sehen ist hier eine „Generalprobe der Weggebliebenen mit den Weggegangenen“. Der Raum ist menschenleer, ein Teil ist abgesperrt, auf dem Boden stehen Materialien aus dem Baumarkt, Teppichbodenrollen, ein Stück Wand mit floralem Tapetenmuster, darauf ein angebissener Apfel, ein Mauer-Muster mit freigelegtem Eisengitter, eine Palette mit Pinselspuren, auf einem Arbeitstisch ein leeres Preisschild. Eine Gliederpuppe, das Hilfsmittel für Künstler, steht auf einer Leiter hinter der Mauer und werkelt an etwas. In diesem Standbild mit Requisiten ist alle Bewegung tiefgefroren. Falls der Bann aufgehoben werden würde, dann rollte der Apfel, der auf der Schräge des Wandmusters eine unmögliche Balance vorführt, auf den Museumsboden.
Dieser „andere“, dunkle Museumsraum wird durch eine Passage im realen Raum unterbrochen. Durch sie geht der Rundgang durch die Installation von Burger weiter. An der Rückseite des schwarzen Raumes, hinter der Kulisse, steht im hellen Licht in der Ecke eine Vitrine mit dem zur Sammlung des Museums gehörenden „Gartenzwerg in Schokolade“ von Dieter Roth. Im weiteren Verlauf des Rundgangs begegnet man dem „Zwerg“ auf einer Fotografie wieder. Aus beigefügtem Kommentar erfahren wir, dass das Zwerg-Kunstobjekt aus konservatorischen Gründen nicht mehr verschoben werden dürfe: sonst fällt das Werk auseinander. Die Installation endet unter der Treppe mit einer zweiten Fotografie, auf der demonstriert wird, wie eine Leiter eine Treppe hinaufsteigen kann.

Was für einen Text wollten hier „die Weggebliebenen mit den Weggegangenen“ proben? Vielleicht ist es ein Stück über das Museum in der Zeit der Orientierungslosigkeit und der Gartenzwerg, der bis zu seinem Ende in der Ecke stecken muss, liefert eine Antwort auf die oft gestellte Frage nach den „bleibenden musealen Werten“.
An diesem Text haben schon viele Künstler geschrieben. Duchamp, mit ersten Museumsprovokationen, war von Anfang an dabei, auch der Fluxus-Künstler Robert Filliou, der den Museumsstaub sammelte oder die Schweizer Fischli und Weiß, die eine Abstellkammer in das Museum geschmuggelt haben.
Burger hat eine eigene, neue Version des Textes in Form einer opulenten und ironischen Allegorie inszeniert, die die Sprache der traditionellen Kunst miteinbezieht. Hier finden wir das „trompe l’oeil“, die Kunst der optischen Täuschung, die Kunstgriffe der Perspektive, den schwarzen, unendlichen Hintergrund der Caravaggisten, auch der angebissene Apfel aus dem verlorenen Paradies ist dabei (die Tapete mit floralem Muster ersetzt hier den Baum) – und viele andere Symbole und Motive, die in diesem Stück eine Rolle spielen.

Die Allegorie betrifft nicht nur das Museum – sie erzählt auch über die Kunst, über uns im Raum der Kunst und über alle Besucher und Zuschauer, die fragen: „Wo ist das Bild?“, oder: „Hat es schon begonnen ...?“ Bevor sie weggehen oder wegbleiben: Es hat längst begonnen, und man soll es genießen, bevor das schwarze Loch alles verschlingt.

Text & Fotos: Wojciech Sztaba, 10.3.09

Frischzelle_10: Stefan Burger
Kunstmuseum Stuttgart, 7. März bis 10. Mai 2009

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