Wojciech Sztaba Bewegtes Leben
Aby Warburg. Mnemosyne Bilderatlas, ZKM Karlsruhe
Jede Tafel ist eine Sammlung von Bildern, die die Wanderung und Wandlung der Bildideen und Motive darstellen sollten – von der Antike bis zur Renaissance, und weiter bis zur Gegenwart. Die schwarz-weißen Reproduktionen sind am schwarzen Hintergrund befestigt, was dem Ganzen eine gewisse Strenge verleiht. Man nimmt zuerst den durch die Tafel gegliederten und rhythmisierten Raum, der uns einschließt, wahr. Hunderte von Bildern mit scharfen weißen Rändern leuchten und heben sich vom schwarzen unendlichen Hintergrund auf. Man spürt die Stille, die Ruhe, auch die Monotonie des immer gleichen Rhythmus. Eine Ausstellung vom Bildmaterial für eingeweihte Kunstspezialisten? Oder doch was anderes? |
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Aby Warburg gab seinem Projekt der kunsthistorischen Bildersammlung einen langen und komplizierten Titel: „Mnemosyne, Bilderreihe zur Untersuchung der Funktion vorgeprägter antiker Ausdruckswerte bei der Darstellung bewegten Lebens in der Kunst der europäischen Renaissance“. Nicht einfach, um ihn im Gedächtnis zu behalten, obwohl das ganze Projekt der Göttin der Erinnerung gewidmet ist. Oder doch – versteckt sich vielleicht in der verschlungenen Formulierung ein mnemotechnischer Hinweis? |
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Diese in den Bildern enthaltene Energie versuchte Warburg auch durch die Form der Tafel zu vermitteln. Seine Methode der Bildererzählung ist nicht linear, er konfrontiert die Zuschauer mit einer Gruppe von Bildern, die auf einmal, simultan, wahrgenommen werden. In dieser Leseart der Kunst ist jedes Bild ein Kontext für das andere und alle zusammen bilden ein Feld von Richtungen, Spannungen, Bedeutungen, Formen und Gefühlen. Fritz Saxl, Warburgs Mitarbeiter und Mitgestalter des Atlas, schrieb begeistert von dem Projekt: „(…) dass es sich hier um die beste Interpretation der Kunstwerke handelt“. Die Methode hat auch eine philosophische Konnotation, denn eine Bildergruppe erinnert an die Einheit in der Vielfalt. In einem Vortrag 1927 sagte Warburg: „in dieser Epoche eines chaotischen Untergangs auch der Schwächste verpflichtet ist, den Willen zur kosmischen Ordnung zu verstärken“. |
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Tafel 55 mit Manets Le Déjeuner sur l'herbe Vergrößerung |
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Tafel 48 mit den Originalabbildungen aus dem Warburg-Institute in London. Detail |
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Den Rundgang durch den Mnemosyne Bilderatlas schließen die Kuratoren mit einer Art Nachwort in Form eines symbolischen Raums, den sie Studiolo nennen. Das Studiolo war in der Renaissance ein Ort des Studiums und der Meditation, für Gelehrte und die sich als Humanisten betrachtenden Herrscher. Darin gab es Bücher, Sammlungen von Objekten der Kunst und Wissenschaft, auch Porträts berühmter Menschen. Das Studiolo im ZKM, das an Aby Warburg und seinen Atlas erinnert, besteht auch aus Büchern, einer Tafel mit den Originalabbildungen aus dem Warburg-Institute in London, Objekten, Porträts, und einem aus der Decke hängenden Tisch des Gelehrten (das bewegte Wissen?). Der Raum hat ein Fenster, man sieht dadurch die schöne Venus von Botticelli, das Bild ist auf Stoff gedruckt, und bewegt sich, wie eine Fahne oder Draperie im Wind. |
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Fotos: Wojciech Sztaba, 30.8.2016 | |
Aby Warburg. Mnemosyne Bilderatlas |
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Die Fotodokumentation der Tafel in The Warburg Institute Archive auf dem Portal "engramma": http://www.engramma.it/eOS2/atlante/ |