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Nähen für das Feuer

Eine Ausstellung von Krystyna Damar
Bishof-Moser-Haus, Stuttgart, Januar 2008

Einführung von Wojciech Sztaba:

 
   
 

Die Ausstellung „Nähen für das Feuer“ zeigt Fotos aus einem über zwei Jahre dauernden Projekt von Krystyna Damar. Ich vermeide es, die Fotos eine Dokumentation zu nennen, denn es geht hier nicht um „handfeste“ Beweise für etwas, was gewesen ist, sondern vor allem um Gedanken, Gefühle, Symbole und Metapher, die diese Bilder vermitteln.
Die Ausstellung besteht aus drei Teilen.

  • Abbildungen der aus kleinen Stoff-Fragmenten genähten Stücke, die an Patchwork erinnern könnten. Darunter sind auch ein paar Detailaufnahmen, auf denen man die Muster, Stoffstrukturen und Nähte sehen kann.
  • Bilder eines Feuers, worin man Fragmente der genähten Stoffe erkennt.
  • Ein kurzer Text, eine Art erweiterte Unterschrift zu den Bildern.

Die 100 Nähstücke, wenn zusammengenäht, würden ca. 150 qm ergeben – was für einen Vorhang in einem kleinen Theater ausreichen könnte. Stellen wir uns das vor: Wir sitzen im Zuschauerraum vor diesem Vorhang, und warten auf den Anfang des Spiels. Aber der Vorhang geht nicht auf und erst nach einer Weile begreifen wir, dass der Vorhang selbst die das ganze Theaterstück und Bühne ist. Man kann sogar sagen, dass sich in ihm die klassische Einheit des klassischen Dramas widerspiegelt: der Handlung, der Zeit, und des Ortes - das Nähen, die Zeit des Nähens und der Ort des Nähens. Der Vorhang ist ein Zentrum, wo die Schicksale von unzähligen einzelnen Stoffen auf dem Tisch der Näherin zusammentrafen.
Die Schauspieler in diesem Theaterstück sind also Stoffe – obwohl keine besonderen. Es sind Reste, Abschnitte, die irgendwann ein Nutz-Dasein hatten, sie spielten einmal die Rolle eines Schals, eines Kragens, einer Bluse, einer Tischdecke, oder eines Taschentuchs, um danach - zwischengelagert in einem Schrank, einer Schublade, und nicht mehr gebraucht - auf ein Wunder, eine neue Rolle zu bekommen, zu warten.
In der Inszenierung von Damar spielen sie sich selbst, sie dürfen unnütz sein, nicht mal etwas dekorieren müssen sie. Sie führen vor, was von ihnen geblieben ist und wie sie mit anderen zusammenpassen, Muster am Muster, Farbe an Farbe, schwer und leicht nebeneinander. Die Fotos in der Ausstellung sind wie während der Theateraufführung aufgenommene Standbilder.
Dieser schillernde Auftritt der Stoffe ist aber ihr letzter. Die Vorstellung schließt mit einem Feuer. Das Feuer setzt der Aufführung ein gewaltsames, ultimatives Ende, was manche Betrachter vielleicht erschreckt. Andererseits ist es auch ein feierliches Zeichen: hier wird zelebriert, so wie man eine Kerze anzündet. Die Notwendigkeit dieses Feuers ist, zugegeben, nicht leicht zu verstehen. Aber es muss sein. Wenn diese 100 Stücke zurück in die Schränke und Schubladen kämen, oder zur Wanddekoration würden, dann wären sie Schauspieler in einem ganz anderen Spiel: über das Nähen für die Formen, das Nähen für die Farben, das Nähen für die Kunst.
Darum geht es nicht. Die Zeit, die ich bei der Arbeit verbrachte, und das Feuer an deren Ende, habe ich in Erinnerung an meine Mutter, eine Theaterschneiderin, ihr zum hundertsten Geburtstag gewidmet.
Nicht die bloße Beschäftigung und die Schönheit der Nähstücke waren das Ziel. Wenn sie schön sind, dann von einer Schönheit der Blumen, die man verschenkt. Dieses Nähen hat seinen Sinn vor allem darin, dass es etwas beharrlich nachmacht, nachahmt, es wiederholt – die Zeit, die Gesten, die Bewegungen – mit der Hoffnung, in sich selbst das zu empfinden, zu fühlen, was der andere Mensch dachte und fühlte. Das Nähen wird dadurch zu einer Wallfahrt zu der geliebten Person, zu einer Reise, die in einem Tun stattfindet.
Die Frage, die dieses Werk dem Betrachter stellt, ist sehr direkt und sehr persönlich, und sie betrifft unsere vollbrachten, geplanten oder vergessenen Wallfahrten.

 

 

Krystyna Damar, Nähen für das Feuer
Februar 2009, Böblinger Kunstverein, "Schleuse 16", Einführung von Gabriele Pfaus-Schiller
Mai 2010, Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung, Heilbronn