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Die Sachen von Birgit Särmö-Woll
Arbeiten aus Papier


Es scheint nur natürlich, die Objekte von Birgit Särmö-Woll in die Hand nehmen zu wollen, ihr Gewicht zu messen, die fragile Materialität des dünnen Papiers oder die Härte, die Trockenheit, die Rauheit des Holzes zu spüren, als ob das Tasten und das Berühren selbst zum Sehen gehörten. Denn sie wirken durch das Stoffliche am stärksten, man vergisst nie, dass sie Objekte, Dinge von bestimmter Beschaffenheit sind, die man an die Wand hängen, auf den Boden stellen, aber auch durch ungeschickte Behandlung verletzen kann. Sie sind schlicht und direkt, sie sind eben da, man nimmt sie als etwas Selbstverständliches wahr.

Die Eingriffe in das Material sind gering, die finnische Künstlerin überlässt es den Stoffen, sich selbst zu spielen: Die verschiedenen Papiersorten – Seidenpapier, Transparentpapier, Packpapier, Zeitungspapier, Papierschnüre, dann das Holz – Fundstücke, auch Fragmente alter Zaunlatten. Nichts Ausgesuchtes, nichts Kostbares, alles demonstrativ bescheiden. Auch die Bild-Ideen vermeiden komplexe Erzählungen, sie folgen dem einfachen Prinzip der Montage, des Zusammentreffens der Stoffe (Holz, Papier) und ihrer Eigenschaften (Farben, Materialtexturen), meistens bestehen sie aus zwei Komponenten, die sich wie zwei Sätze oder Worte „lesen“ lassen.

Ein seltsames Gefühl: Je stärker die Objekte an die sinnliche Erfahrung appellieren, desto unerreichbarer werden sie. Du versuchst danach zu greifen und berührst ein Stück Holz oder ein Stück Papier. Es wird deutlich, dass das Materielle und das Poetische zugleich in einem Objekt wohnen, wie die zwei Sätze, die zwei Worte dieser Bild-Montagen. Die Schönheit produziert die Sehnsucht – und umgekehrt.

Auf das Kissen kannst Du deinen Kopf nicht legen, ohne es zu zerstören. Seine schneeweiße, zarte Oberfläche ist dazu bestimmt, etwas anderes aufzunehmen, sie ist wie eine Fassung, auf der Juwelen präsentiert werden. Und was für Juwelen! Es sind „nur“ hauchdünne, durchsichtige Scheiben der in das Papier eingearbeiteten Pilze, die dich wie Augen aus Edelsteinen ansehen und dich auffordern, durch sie weiter in die Ferne zu sehen, so wie es der Abt Sugerius im 12. Jahrhundert tat, als er in Meditation die Strahlen von Juwelen seiner Schatzkammer bis in den Himmel begleitete.

Auch andere Papierobjekte sind Abbildungen von Sachen, die uns bekannt vorkommen, und doch unbekannt bleiben. Ist es das Innere einer Werkzeugtasche, eines Etuis ohne das Werkzeug? Oder sind die feinen getrockneten Grashalme geheimnisvolle Instrumente für unvorstellbare Aufgaben? Sicherer glaubst Du dich bei Stücken aus festem Packpapier, die an Kleider erinnern, es gibt hier auch Nähte und Knöpfe, aber diese Funktion ist nur vorgetäuscht: Würdest Du das „Kleid“ anfassen, dann hättest Du in der Hand kein echtes Kleid, sondern nur dessen Bild. Die weiteren Objekte, die an sorgfältig zusammengefaltete Kleidungs- oder Stoffstücke erinnern, sind wiederum aus sehr feinem Papier. Unter vielen Lagen verbirgt sich etwas, was durch das Transparentpapier schimmert. Wenn das Licht stärker wird, kommt das Versteckte zum Vorschein: ein im Papier eingenähtes vergilbtes Zeitungspapier mit gedruckten Worten, die Zeitungs-Worte sind, die in allen Sprachen das Heutige, das Aktuelle und Vergängliche verkünden.

Das von den meisten Papierkünstlern verpönte, „unedle“ Zeitungspapier findet bei Birgit Särmö-Woll gerade durch die mindere Qualität seine Bestimmung: Das Material mit kurzem Verfallsdatum macht sie zum Sinnbild der Vergänglichkeit, das aus einer Vanitas-Allegorie stammen könnte.
Transparentpapier – Zeitungspapier; ein Holzrahmen um eine „Schraffur“ aus Birkenzweigen; ein Ei in einer aus Papierschnur gestrickten Masche; Zaunlatten mit Verbindungstücken aus Zeitungspapier; Birkenzweige, wie eine Strohpuppe mit Zeitungspapier umhüllt ... Wie in einem Zwiegespräch beginnen die unbetitelten Dinge dennoch ganze Geschichten zu erzählen. Aus Assoziationen leihen die Papier- und Holzstücke sich ihre vorübergehenden Identitäten, unverbindlich, für die Zeit eines Gedankens, der an einen anderen Gedanken anknüpft. Keine der Geschichten ist zu Ende erzählt. Ein anderer Gedanke, eine andere Erfahrung, die Du einbringst, ändert die Erzählung. In Finnland kommt es vor, erzählte einmal die Künstlerin, dass das Kind nach der Geburt einen „vorläufigen“ Namen bekommt, der vielleicht später behalten oder durch anderen ersetzt wird.

Am Ende bleibt von diesen Erzählungen die Erinnerung an etwas Wesentliches und doch Flüchtiges, was aus Papier und Holz bestanden hat. Um diese Geschichten nochmals zu hören, musst Du sie erneut erzählen.

In diesem Sinne sind die „Fundstücke“ von Birgit Särmö-Woll ein Beispiel für die verloren geglaubte Interesselosigkeit der Kunst. Du kannst die Gegenstände dieser Kunst auf deine Weise entdecken und empfinden – aber behalten, besitzen, sie für dich nützlich machen, das kannst Du nicht. In der Kunst gibt es keine Symmetrie eines Kaufvertrages oder eines Input – Outputs Systems. Denn die Kunst-Erfahrung ist nicht symmetrisch, es entsteht dabei immer ein Rest, wie die Tristesse nach dem Moment des Glücks.

W. Sztaba, März 2009

Birgit Särmö-Woll
geb. 1949 in Finnland
Designerin. Studium an der HFG in Pforzheim und Offenbach.
Lebt und arbeitet in Deutschland und Finnland.

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