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Michał Budny im Kunstmuseum Stuttgart
„What you see is what you get” oder ein Traum vom Museum

 

Vielleicht braucht der Vorhang überhaupt nicht aufzugehen.
Vielleicht können wir nur ruhig in das Programmblatt hineinschauen
und die Schritte und das Flüstern anderer Besucher hören.

K. Damar

Große, rechteckige Flächen aus transparenten Klebestreifen, direkt an die Wand geklebt. Breite, massive Rahmen, an die Wand gehängt und mit grauer Folie verpackt oder verhüllt. Eine Wand hinter von der Decke bis zum Boden reichender Folie versteckt. Durch die Folie schimmernde grüne Farbe. Schwarzer Rahmen, der durch transparentes Papier durchscheint. Eine Platte mit Papier verklebt, stellenweise mit Falten, braunfleckig. Das ist, was man in der Installation des polnischen Künstlers Michal Budny im Stuttgarter Kunstmuseum sieht, was man bekommt.

Was tun mit dem, was man bekommt, was man sieht? Am besten wäre es, selbst das Sehen zu beobachten, gäbe es nicht den unermüdlichen Symbol- und Zeichengenerator im Kopf, der die Bilder in Zeichen umwandelt und vorsagt, was man sieht.
Zuerst wird der Raum, in dem der Künstler seine Werke inszeniert hat, benannt: Das Muzeum Michał Budny im Kunstmuseum wiederholt die Namensbezeichnung des Ortes, in der Art einer Tautologie, die das eine durch das selbe erklärt, so wie „künstlerische Kunst“ oder „museales Museum“ es tun. Die begriffliche Verdoppelung des Museums eröffnet also die Ausstellung – in diesem Feld trifft das Museum sein Spiegelbild und die banalen, alltäglichen Dinge beanspruchen ihren neuen künstlerischen Status.

Die verpackten Rahmen sind Zeichen, die auf Bilder hinweisen, die man allerdings nicht sieht.
Man weiß nicht, was diese Schattenbilder darstellen. Die Folie ist mehr oder weniger kunstvoll um sie drapiert, oder hängt runter, wie ein Theatervorhang, bis zum Boden. Die sich überlappenden Lagen der Folie erinnern an elegante, in ihren Farben zarte, abstrakte Malerei.
Man weiß nicht, warum die unsichtbaren Bilder verpackt wurden – wegen eines bevorstehenden Umzugs? Oder als Schutz vor dem musealen Staub? Vielleicht sind sie nicht verpackt, sondern verhüllt? Verhüllung ist eine symbolische Geste, wie das Verhüllen von Spiegeln oder von Bildern in der Kirche während der Karwoche.
Oder der Vorhang ist, im Gegenteil, ein Zeichen, dass gleich etwas anfängt, dass er wie im Theater aufgeht, oder wie auf einem Bild von Vermeer zur Seite geschoben wird und auf der Bühne die alten und immer aktuellen Erzählungen wieder erscheinen.

Das Verhüllen kann aber auch bedeuten, dass etwas schwer zugänglich, geschützt vor Unberechtigten ist, offen nur für Eingeweihte, wie die Vorlesungen, die Pythagoras für seine esoterischen Schüler hinter einem Vorhang führte. Nicht immer ist es so, dass „what you see is what you get”. Das Sichtbare kann verhindern, das zu sehen, was versteckt ist. Manchmal muss man sogar etwas verhüllen, um es zu zeigen. Dieses Paradox veranschaulichte Marcel Duchamp, indem er 1942 den Raum der New Yorker Surrealismus-Ausstellung mit Fäden wie mit einem Spinnennetz durchzog. Auch Mirosław Balka, Budnys Landsmann, stellte dieses Thema 2010 in der Karlsruher Kunsthalle in einer Rauminstallation „Wir sehen Dich“ dar, in Form eines käfigförmigen, vergitterten Gangs, der durch die Sammlung altdeutscher Malerei führte.
Noch weitere Einträge in dieser Führung durch das Muzeum Michał Budny wären möglich. Irgendwann wird aber dieser Reigen der Interpretationen enden. Die andere Aufführung kann dann beginnen – bei heruntergelassenem Vorhang, den man nicht aufzuziehen braucht, denn wir bleiben allein mit dem Sehen, mit dem, was ist und was wir bekommen haben: die drapierte Folie, das Licht in den Falten, die durchscheinenden Formen und Farben. Das schneeweiße Transparentpapier, das den darunterliegenden schwarzen Rahmen wie in einer zarten Kohlezeichnung wiedergibt. Die Lichtreflexe, die die Anwesenheit der „unsichtbaren“ Bilder aus Klebestreifen verraten. Die Formen erscheinen und verschwinden, während wir durch diesen doppelten Museumsraum mit seinen vielen Perspektiven wandern, mit Stimmen und Geräuschen aus dem off.

All das fügt sich zu einer seltsamen Spannung zusammen, die man beim Sehen empfindet. Der Reigen von Zeichen, Ideen und Geschichten ist zwar auch da, aber nur als fernes Echo, als undeutlicher Hintergrund.
Der Weg durch das Muzeum Michał Budny gleicht einem merkwürdigen Traum, den man bei manchen Kunstwerken hat, und worüber der polnische Künstler, Stanisław Ignacy Witkiewicz im Bezug auf Theatervorstellung schrieb: Beim Verlassen des Theaters sollte man den Eindruck haben, man wäre aus einem wunderbaren Traum aufgewacht, in dem sogar die banalsten Sachen einen seltsamen, unergründbaren Zauber innehatten, der bezeichnend für Träume und mit nichts anderem vergleichbar ist.

Wojciech Sztaba (Text und Fotos)

Frischzelle_14: Michał Budny
14. Mai – 17. Juli 2011
Kunstmuseum Stuttgart

wersja polska

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