Impressum

Eating the Universe
Kunstmuseum Stuttgart 17.9.2010 - 9.1.2011

Wojciech Sztaba (Text und Fotos)

Am Eingang begrüßt die Besucher, wie ein ungeschriebenes Motto, eine in ihrer Bewegung angehaltene Figur aus schneeweißer Margarine, eingeschlossen in einem engen verglasten Kühlschrank: ein nackter Jüngling, der eine Schar ihn reizender Putti abwehrt. Das Bild wirkt wie ein Oxymoron, eine aus widersprüchlichen Begriffen gebaute poetische Figur, die hier das heiße erotische Begehren mit der Kälte in der Kühltruhe kombiniert: „eine gefrorene Flamme“.


Sonja Alhäuser, Das Willkommen

Diese Einführung in die „Spiele mit dem Essen“ erinnert auch daran, dass vor fünfhundert Jahren ein nicht geringerer Künstler wie Leonardo da Vinci für den Tisch seines Mäzens einen Perseus aus Butter und eine Andromeda aus Hühnerbrüsten gestaltet hatte.


Dieter Roth, Gewürzfenster

Die Ausstellung beweist indirekt und auf paradoxe Weise, dass das Kunsterlebnis doch interesselos ist. Man kann doch nicht, so eines der Argumente dieser Theorie, ein Stillleben aus Früchten, Schinken und Wein essen. Zwar weisen die Künstler in ihren Werken deutlich auf ganz lebensnahe Interessenbereiche hin, mit dem Finger der anderen Hand aber zeigen sie in eine entgegengesetzte Richtung. Aus dem Stillleben wird das allgegenwärtig in der Ausstellung vorhandene Bild der Vanitas-Allegorie: wie die Bilder-Fallen von Daniel Spoerri die Essensreste von damaligen Festen melancholisch konservieren, oder die Bilder-Sanduhren von Dieter Roth, die, dem Spruch von „ars longa vita brevis“ zum Trotz, den Kunstwerken ihre Lebenserwartung erbarmungslos berechnen.
Das Fest des Essens und des Kochens wird hier zur Demonstration der Freiheit der Kunst. Man kann wohl mit dem Essen spielen, ohne gleich dem Unmoralischen zu verfallen. „Er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ – so Schiller. Das wäre vielleicht die wichtigste Botschaft der Ausstellung. Als Nebenprodukt findet man hier genug Gesprächsstoff – von dem Konsum im Zeitalter der Globalisierung bis zu Problemen des Über- und Untergewichts.

Zeger Reyers, Rotating Kitchen

Das spektakulärste Objekt der Ausstellung ist wohl die rotierende Küchenzelle, ein Kubus (cube) auf runder Führung, der sich an einer Seite wie eine Theaterbühne dem Betrachter öffnet. Das Quadrat und der Kreis, das sind doch die idealen Figuren, in die Leonardo die Gestalt des Menschen zeichnete. Hier nimmt die Küche seinen Platz ein. Knallend fallen aus den Schränken diverse Küchengeräte und Nahrungsmittel, auf dem Boden des Museums wächst ein Haufen von Müll.


Daniel Spoerri, Ik, James Ensor, Ostende

Diese rotierende Kapsel, diese Küche, die im Weltall zu schweben scheint, erinnert an die schöne Arbeit von Daniel Spoerri, die an der Seepromenade in Ostende steht: Das in Bronze gegossene Pariser Atelier von James Ensor, samt aller Möbel, Staffelei, Klavier, Kochstelle und Waschbecken. Diese Künstlerzelle, Künstlerkapsel steht auf einem schrägen Sockel, sieht aus wie eine auf den Strand geworfene riesige Kiste, die gleich umkippt.


Anja Gallaccio, Stroke

Inmitten des Schokoladenzimmers steht, wie üblich in Museen, eine lange, braune Bank, auf die man sich jedoch nicht setzt, um Bilder zu kontemplieren – denn es gibt hier keine Bilder – sondern, um in den Duft einzutauchen, der aus den mit Schokolade „glasierten“ Wänden strömt. In diesem dunklen, magischen Raum gibt es zwar ein schmales Fenster, eine Art Bild-Ersatz, denn man pflegt über Bilder zu sagen, sie seien Fenster zur Welt. Nun – dieses Fenster geht auf die Galerie, man sieht die Besucher. Denn das wahre Bild entsteht hier im Kopf, hinter den geschlossenen Augen, in Erinnerungen.

Und noch viele andere Bilderzählungen – witzig, spielerisch, geheimnisvoll, auch dramatisch – über das andere Sehen und das andere Schmecken.


BBB Johannes Deimling


Thomas Rentmeister, o.T.


Mika Rottenberg, Dough


Lili Fischer, Gewürzpredigt für Pfeffersäcke

Eat art. Vom Essen in der Kunst
Kunstmuseum Stuttgart
17.9.2010 - 9.1.2011
Katalog


weitere Texte