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François Morellet

Beredte Geometrie

Ausstellungsansicht

Ich habe in der Morellet-Ausstellung viel mitgelacht, nicht zuletzt weil die todernste und Ehrfurcht einflößende Strenge der geometrischen Abstraktion, die vor Jahren für die militanten Kunsttheorien als non plus ultra der Kunst galt, hier mit einem Lacher demontiert wird.

Nun, die Kunst Morellets ist keineswegs eine Parodie der konstruktivistischen Vorbilder: Der Künstler bleibt der Bildsprache der Abstraktion treu, die er immerhin selbst seit vielen Jahren mitgestaltet hat. Sein Lachen befreit die Abstraktion von engen Begriffen und Regeln. Und – indem man lacht, erkennt man gleichzeitig auch die Rhetorik der abstrakten Formen und deren erzählerische Möglichkeiten an. Morellet hat keine Scheu vor dem Literarischen, seine Werke spielen ganz offen im Theater der Abstraktion, das Quadrat und die Linie sind die Protagonisten seines Stückes unter dem Titel „Die Quadratur des Quadrats. Eine Introspektive“.

Jedes Bild eine Miniatur-Geschichte, eine kurze Parabel. Hier sehen wir ein Quadrat, das aus seinem Rahmen fällt. Dort verpasst das Quadrat dem Kreis einen Tritt (diese alte Konkurrenz um die Führungsrolle unter den Idealfiguren!). Da – zwei Seiten eines unvollendeten Quadrats dringen („Free-vol“) in ein ganzes Quadrat ein. In der Serie „Geometree“ sind es die Natur-Formen, die Baumzweige, die sich mit geometrischen Formen „vermählen“. Manchmal muss der Betrachter die Bildgeschichten wie Rätsel entschlüsseln, die im Raum auf vielen Ebenen und in Zeitlupe spielen, er muss entscheiden, was oben und was unten, was Skelett und was Körper ist, bis er dann in diesen Studien zur Anatomie des Bildes die verborgene, neon-leuchtende Seele der Linie erblickt.

Die Wortspiele, diese Übungen der Rhetoriker, sind in der Bild-Inszenierung von Morellet immer in den Titeln präsent und geben auch den Formen die entsprechenden Richtungen vor. Das Paradox, das Palindrom, die Wortzusammensetzung, sie können das Geschehen auf dem Bild verdecken oder aufdecken. „Mais comment taire mes commentaires“ (Wie könnte man meine Kommentare verschweigen) ist der Titel eines seiner Bücher. Dieser doppelten Strategie des Erklärens und Verdunkelns begegnen wir gleich im Titel der Ausstellung, der auf die Quadratur des Kreises anspielt und aus dem Zweifel daran, restlos zur Wahrheit gelangen zu können, eine Tautologie (die Quadratur des Quadrats) macht, die einen Begriff mit demselben erklärt. Ein Bild Morellets, auf dem sich zehn Linien treffen, heißt dann eben „10 Linien“. Ein Quadrat ist ein Quadrat: voilà!

Jedes Bild wie ein Koan. Wie eine Antwort des Zen-Meisters auf immer neue und doch dieselben Fragen der Schüler: Er sagt sie in einem Wort oder einem Satz, erzählt eine kurze, widersprüchliche, absurde Geschichte oder er lacht und zeigt einfach mit dem Finger auf etwas. Man hört dieses Lachen in Morellets Figuren. Vor Jahren (1953) hat er ein strenges Werk geschaffen, eine weiße Tafel mit einem Linien-Gitter, das 16 Quadrate bildet. 50 Jahre später bat er kleine Kinder, das Bild zu kopieren, und diese Nachzeichnungen ließ er dann in Neonröhren ausführen. In der Ausstellung hängt eines dieser Bilder hoch über der Treppe. Man müsse aufpassen, sagt Morellet, denn man könne sich nicht gleichzeitig das Bild anschauen und die Treppe runtergehen ...

Text & Fotos: Wojciech Sztaba, 20.05.09

François Morellet: „Die Quadratur des Quadrats. Eine Introspektive“.
Museum Ritter, Sammlung Marli Hoppe-Ritter, Waldenbuch, 17.05. – 27.09.2009
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