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Piotr Pilch
Das Vertauschen

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Wenn sie uns erscheint, dann führt sie uns nicht in die Ferne, sondern stellt sich uns hier dar, in der Nähe der Zeugen ihrer Erscheinung. Die Deutlichkeit und Klarheit ihrer Offenbarung räumt alle Zweifel aus,ob sie nicht ein Teil von uns sei; sie verlangt auch nicht, dass wir unsere Gegenwart beweisen und weiter über die Wahrhaftigkeit ihrer Erscheinung urteilten. Eins dürfte sicher sein: um sie zu verstehen, müssen wir über eigene Unabhängigkeit verfügen.
Piotr Pilch, 1979


Kraków, Herbst 1979 - In einem unter Denkmalschutz stehenden Haus befindet sich in der ersten Etage der Schriftstellerverband, im Keller – eine private Kunstgalerie.
Zur Galerie führt ein roter Teppich, der an zwei langen Leuchtstoffröhren endet. Im ersten Raum stehen einige weiß bemalte und mit Papier bedeckte Stühle. Auf dem Boden gegenüber dem Eingang liegt ein Tonband, aus dem das Geräusch ans Ufer schlagender Wellen kommt. In den Ecken liegt Sand - als ob man ihn schnell aus der Mitte des Raums dorthin gekehrt hätte.
Im zweiten Saal hängen etwa zwanzig Collagen auf weißem Papier. Darauf Fotos, kleine Zinkplatten, Stücke von Glas, Schnur, Pelz - mal aufgeklebt, mal ans Papier oder aneinander gebunden, manchmal mit Bleistift durchgestrichen. Auf den kleinformatigen Fotos sieht man einen Menschen, der abwechselnd bekleidet oder nackt ist. Beleuchtet wird der Raum durch acht Disko-Leuchten. Das sich ständig ändernde Licht, blau, rot, gelb und grün, stellt die Geduld des Besuchers auf die Probe - denn es erschwert nicht nur das Betrachten, sondern auch das Wahrnehmen der Bilder. Als ob die dargestellten Dinge keinen Betrachter mehr bräuchten, als ob sie sich selbst genügten.



Man möchte auch nicht zu nah in diese, wie es scheint, sehr private Sphäre eintreten. Aber die Darstellungen auf den Fotos gehen eigentlich über das Intime hinaus. Wir sehen dort einen Mann in Positionen, die an gymnastische Übungen denken lassen. Er steht, liegt mit gespreizten Beinen, gehobenen Armen, er übt mit am Körper befestigten Leuchtstoffröhren, er neigt sich zum Boden, er fällt. Er steht im leeren Zimmer, auf der Wiese, an einem Pfosten oder unter einem Baum. Seine Gesten rufen das ewige Thema der Kunst hervor: die Vielfalt der Auffassung der menschlichen Figur. Also nicht gymnastische Figuren, sondern ein Bild des kosmischen Menschen, dessen Proportionen in den Kreis und das Quadrat passen. Oder das eines Gekreuzigten – der auf den Boden geworfen, mit einer Leuchtstoffröhre, wie ein Objekt mit einem anderen Objekt, absurd, verbunden ist. Der leere Raum, in dem er sich befindet, ist voller Spannung, aber seine Handlungen drücken andererseits die Ruhe einer eigentlich nicht notwendigen Beschäftigung aus, wie etwa der Ausübung der Kunst, der Zusammenstellung der nächsten Teile eines Werkes.
All das geschieht in der Disko-Stimmung, in der das Thema zu einem flimmernden Ornament wird. Hier macht das Licht nicht sichtbar, sondern verhüllt wie eine Verkleidung, wie eine Maske, die das Bild und die Bedeutung verdecken. Die Beleuchtung lässt zwar eine Bewegung zu, sie scheint Leben zu spenden; gilt dieses aber auch den beleuchteten Objekten?
Die Ausstellung verspricht einen Zusammenhang zwischen dem dargestellten Menschen und der Bewegung des Lichts in der Galerie, also im Auge des Betrachters. Der angekündigte Zusammenhang entfernt sich aber beim nächsten Wechsel der Lichtfarbe von seinem Versprechen. Das Flimmern des Lichtes lenkt von den Bildern ab und leitet die Gedanken auf den zauberhaften Zustand des Verweilens in der Galerie. Der Betrachter genießt gleichermaßen das Dargestellte, wie das Ambiente, in dem er sich befindet. Es herrscht eine ruhige Stimmung der Relativität des durch die Kunst manipulierten Materials, und seiner fast poetischen Zerbrechlichkeit.
K. Sztaba, Echo Krakowa, 29.11.1979

Die Objekte der Kunst – diese seltsamen Phänomene, die aus dem dunklen Bereich des Erhabenen erscheinen, wohin der Verstand nicht reicht und sich mit Andeutungen behelfen muss und wo die Wörter um mutmaßliche aber ersehnte und erwartete Erklärungen und Erlebnisse kreisen. Die Texte, die wir Kunsthistoriker damals über die Kunst schrieben, wie auch die Selbstkommentare der Künstler, versuchten diese undurchsichtige, unsichere Zone zu erfassen.
Die Installation von Piotr Pilch war eine Allegorie über den Menschen, der mit einem Bein in der Wirklichkeit und mit dem anderen in der Utopie steht. Der rote Teppich war ein Zeichen für einen wichtigen Ort, an dem sich die Prominenz dem wartenden Publikum offenbart; zugleich war er ein Attribut des Luxus, ein Wegweiser zu einem teuren Hotel. (Die Idee, auch ein paar große Kübelpalmen am Teppich entlang aufzustellen, hatte Pilch nicht realisiert).
Der rote Teppich in der Ausstellung führte zur Natur in der Dose, zum Meer (dem Geräusch aus dem Tonband), zum Strand (dem Sand) und zur Sonne (den Leuchtstoffröhren). Übersetzt in die Sprache des Alltags konnte das Bild Assoziationen zu den Ferien an dem Baltikum wecken; in die Sprache der Kunstgeschichte – zu Gauguins Südsee-Träumen…
Die Collagen in dem zweiten Galerieraum verbanden das Wirkliche mir dem Gezeichneten. Die Bleistiftstriche liefen immer neue Metamorphosen durch, sie verwandelten sich in Haare, in Gras, in einen Spalt, in eine Grenze. Sie trennten und verbanden, sie „schnitten“ ins Papier und „klebten“ die Formen zusammen, um schließlich zu der Form zurückzukehren, die sie immer gewesen waren: Striche in klassischer Schraffur-Technik.
Auf den auf die Collagen aufgeklebten Fotos zeichnete der Künstler seinen nackten Körper in die leuchtende Geometrie der Neonröhren ein und entwarf eine neue Variante des Menschen als Mikrokosmos. Und gleichzeitig ließ er ein Bild des Eros, der seine Kleider ablegte, frei.
Das bunte, flimmernde Licht brachte Bilder von Diskotheken und Rock-Konzerten in die Installation. Dem Bild fehlte aber der Ton und der Tanz, die Musik war aus, auf der Tanzfläche befanden sich nur die Ausstellungsbesucher. Mit diesem Bild schloss die ganze Allegorie, die Pilch „Das Vertauschen“ genannt hatte.
W. Sztaba, 2008



Piotr Pilch (1949 - 2013), studierte Malerei an der Akademie der Schönen Künste in Krakau (Diplom 1978)
und Theologie in Wartburg Theological Seminary Dubuque, Iowa (1986). Seit 1987 Pfarrer in North Dakota,
ab 2000 in Hackensack, New Jersey. Kunstlehrer in New Jersey.

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