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Robert Wilson: Video Portraits
ZKM | Museum für Neue Kunst, Karlsruhe, 13. Mai - 22. August 2010

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Fotos von Wojciech Sztaba aufgenommen während der Pressekonferenz am 12.5.10
Untertitel nach Texten aus: Robert Wilsons "Statement", Textauszug aus dem sich in Produktion befindenden Katalog zur Ausstellung "Robert Wilson. Video Portraits" im ZKM 2010 (Hrsg. Peter Weibel)
und aus: Holm Keller," Robert Wilson", Frankfurt am Main 1997, Fischer Verlag
Kommentare: Wojciech Sztaba

Die Besucher, die mit dem Aufzug zur Ausstellung gelingen, werden von einem friedlichen Zerberus namens Celine begrüßt, der sie in die Säle der Bildnisse eintreten lässt.
Hier, im Gegensatz zu dem hellen darunterliegenden Stockwerk mit Jürgen Klaukes Ausstellung, herrscht Dunkelheit. Einzelne Bilder leuchten wie Laternen, wie Fenster in der Nacht, die jemandes Anwesenheit – ob eines Guten oder Bösen, weiß man nicht – ankündigen.

Die Porträts scheinen unbewegt zu sein, haben aber ein latentes Leben, das umso intensiver wahrnehmbar wird, umso unmerklicher es sich zeigt – in Gesten, Blicken, Geräuschen, Tönen und Worten. Die extreme, dem Stillstand nahe Langsamkeit spielt an der Grenze zwischen Dia-Leuchtkasten und Videoaufführung und führt dramaturgisch zu der überraschenden Entdeckung, dass das Bildnis atmet. Das beschreibt der Mythos von Pygmalion: diesen Traum und dessen hypnotische Wirkung des Augenblicks, wenn ein Abbild plötzlich zum Leben erwacht und uns ansieht – wie die als Bronzefiguren maskierten Straßenkünstler in der Fußgängerzone.

Man wandert von einem Bild zum anderen: Frauen und Männer, ein Kind und Tiere, das Ernste und das Heitere, ein Mikrokosmos ist hier zu entdecken, wie in einem Renaissance-Studiolo, wo die Porträtgalerie die wichtigsten Protagonisten der Welt darstellte. Robert Wilson – der Theater-Mensch – inszeniert hier für uns diese Welt-Geschichte in einem eigenartigen Spektakel, ohne Bühne und Vorhang, sondern, wie im mittelalterlichen Theater, in Stationen, zwischen denen sich die Besucher, wie Schatten zwischen den leuchtenden Schatten, bewegen.

Robert Wilson ist ein Storyteller, man könnte ihm stundenlang zuhören, wie er über die Dreharbeiten zu seinen Video-Porträts erzählt. Unter diese Geschichten und Anekdoten mischt sich allerdings eine andere Erzählung: die über die Kunst, über den Augenblick, in dem man vor einem Bild, Angesicht zu Angesicht, steht. Wilson berichtet, wie der Panther beim Filmen auf dem Tisch lag, wie die Crew ringsum stand und keiner sich zu rühren wagte, denn – hier kommt das kleistsche Motiv aus dem Marionettentheater – ein Bär gewinnt ein Duell mit dem Menschen, weil er, wach und ruhig, auf den ersten Zug des Gegners wartet. Diese Ruhe und Aufmerksamkeit machen die Intensität der Kunst aus. Also – beobachten wir uns in der Stille gegenseitig, wir die Bildnisse und sie – uns.

Die Schönheit der Langsamkeit liegt vielleicht darin, dass die Geste sich von den Kommunikationszwängen, von Lebensinhalten, von der Pragmatik befreit – sie wird zu einer reinen Bewegung, zur Abstraktion, sie gilt für sich selbst und gewinnt plötzlich eigene, autonome und überraschende Bedeutung.* Die Grille, erzählt Wilson, lebt etwa 3 Monate; das durchschnittliche Lebenslänge des Menschen beträgt 70 Jahre. Wilson lässt das Zirpen der Insekten entsprechend der Dauer des menschlichen Lebens verlangsamen. Es entsteht eine Musik, ein unheimlich schönes Choral - „wie Bach“. Denken wir weiter: Wie ist es dann mit der Langsamkeit der Video-Porträts? Resultiert sie auch aus einer Umrechnung auf eine andere Geschwindigkeit eines anderen Wesens und seiner Lebenslänge, in einer anderen Dimension?
* Der polnische Künstler, Maler, Dramaturg und Philosoph, Stanislaw Ignacy Witkiewicz, genannt Witkacy (1875-1939), hat dieses Gefühl zwischen dem Abstrakten und Realen in seiner Theorie der Reinen Form in der Kunst und im Theater besonders treffend beschrieben. Er nannte es das metaphysische Gefühl, ein Begriff an den ich vor Wilsons Werken oft denke.

Das Liedchen vom Boris, dem Stachelschwein, das vor einer kosmischen Kulisse wie verloren erscheint, ertönt heiter und versöhnlich und nimmt etwas von dem Schrecken, den man, wie damals Blaise Pascal, angesichts des ewigen Schweigens dieser unendlichen Räume verspürt.

 


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