Impressum

sztaba Marcel van Eeden
"The Darkest Museum of the World" in Darmstadt

Möglicherweise bringt die Bekanntschaft mit neuen Medien einen anderen Zugang zu der Ausstellung von Marcel van Eeden – obwohl er eine künstlerische Technik und Formen verwendet, die nicht neu sind: Seit vielen Jahren zeichnet er ganz realistisch nach Vorlagen mit schwarzem Stift kleinformatige Bilder, Tausende sind es inzwischen.
Aber die Zeichnungen sind nur das sichtbare Ergebnis dieser Arbeit, wichtig ist auch die Zeit vor und nach dem Zeichnen, die ständige Zeichnungs-Bereitschaft des Künstlers, seine künstlerische Methode und Arbeitsweise. Und das alles gehört schon zur neuen medialen Welt, mit ihren Datenbanken, Schnittstellen, Browsern und Blogs.
Sein Thema hat einen totalen Anspruch: es sind die Zeit und der Raum vor 1965, vor seiner Geburt. Die ganze Ikonosphäre dieser vergangenen Welt, eine virtuelle und offene Datenbank ist das Thema und das Material seiner Zeichnungen. Fotos, Filme, Bilder, Werbegrafik und Texte, die der Künstler in diesem Meer der Informationen findet, übersetzt er in die schwarz-weiße Sprache der Zeichnung, und baut daraus ein eigenes Bilder-Archiv. Es ist ein Prozess, der dem Schreiben eines Tagebuchs ähnelt: Das tägliche Aufzeichnen und Ordnen der Funde, der „unterwegs“ entdeckten Bilder ist eine Handlung an der Schnittstelle zwischen den Zeiten und Medien.
Dieses „Tagebuch“ erzählt bereits eine Geschichte – die Vorgeschichte von allen, die ihr folgen werden – über die Entscheidung des Zeichners, mit Hilfe der Kunst, im täglichen Ritual die zwar nicht eigene und doch selbst erlebte Zeit zu gewinnen. Nicht nur ein Bild, sagte Godard, sondern viele Bilder sind das, wonach wir suchen, was wir zeigen, was unserer Zeit entspricht.

In dieser ständig wachsenden Datenbank, durch die Auswahl und Begrenzung, finden die Bilder zueinander, neue, kleinere Sammlungen entstehen, mal als Bilder-Buch, mal als Internet-Fotoserie, mal als Ausstellung. Das besondere an diesen Zyklen ist, dass sie unvollständig, vorläufig sind und immer neu konstruiert werden. Zwei, drei oder mehr Erzählungen tauchen auf, laufen gleichzeitig, parallel, quer oder verlieren sich in anderen. Die Lektüre dieser vernetzten Bildergeschichten erfordert, dass man selbst zwischen Bildern und Texten navigiert, hin und zurück, immer tiefer und tiefer taucht, bis zu dem, was gewesen war, was ist und noch wird, und dessen Teil wir sind. Und immer daran denkt, dass es nie möglich ist, das Ganze in allen Einzelheiten zu sehen; auch der Besucher durchquert nur diese Geschichten, in gewisser Zeit, an einem gewissen Punkt.

Die Ausstellungen von Marcel van Eeden sind nicht als Behälter für die Bilderserien gedacht, der Ausstellungsraum ist selbst eine sprechende Form. Die Sammlung in Darmstadt wurde schon zwei mal präsentiert, in Berlin im Haus am Waldsee und im Kunstmuseum Sankt Gallen, und jeweils in einer anderen Inszenierung, mit einem anderen Titel, obwohl alle drei Stationen aus fast gleichen „Bausteinen“ bestehen. Ein Buch in drei Bänden.

„The Darkest Museum of the World“ heißt die Ausstellung in Darmstadt. Sie gleicht einem Traum, oder einer Simulation des Ichs – als ob man im dunklen Inneren der Monade wanderte, die zwar ohne Fenster, aber übersät von Bildern ist. Über die Wände verstreut, umringen sie die Besucher, einzeln oder in Gruppen, in Reihen oder wie ein Vogelschwarm, polyphonisch oder in einer Stimme, im Dialog, im Chor oder im Monolog.
Der Rundgang fängt in schwach beleuchteten schwarzen Räumen an, die Architektur führt die Besucher durch die niedrigen Zimmer. Plötzlich öffnet sich ein riesiger heller Saal. In der Mitte (vielleicht das Zentrum der ganzen Ausstellung) steht ein schwarzes tempelartiges Gebäude, in dem, oh Ironie, hinter einem schwarzen Vorhang ein buntes Kotelett eine „Performance“ aufführt …

Aus der großen Halle geht es wieder in die Dunkelheit, zuerst in einen Kinosaal. Die Bilder bewegen sich jetzt wirklich, man sieht ein Video-Porträt, das wie eine Zeichnung von van Eeden aussieht, dann ein Computerspiel, als ein Film-Noire-Tatort, in bedrohlichen Zeichnungen inszeniert. Im nächsten Raum wird alles ganz schwarz, man nimmt nur schwach schimmernde Bilder an den Wänden wahr, die Menschen aber, die dort unsicher wandeln, nicht. Der letzte Raum ist eine enge Schleuse, die zum Außenwelt führt. Man wacht aus dem Traum auf.

Die Ausstellung in Sankt Gallen, „Schritte ins Reich der Kunst“, war hingegen ein Tagtraum, große Fenster erhellten die Räume, der dunkelste wirkte dort wie ein vergessener Saal in einem vergessenem Archiv, oder in einem Museum, das man außerhalb der Öffnungszeiten besucht. In einem hellen Raum, in der nüchternen Atmosphäre eines naturhistorischen Museums präsentierte sich in einer Vitrine das Riesen-Kotelett. Und statt informativer musealer Schautafeln an den Wänden – beunruhigende, skurrile und groteske Bilderstrecken von van Eeden. Von dort aus ging es also ins Reich der Kunst – und man könnte dabei die eigenen Schritte hören.




Schritte ins Reich der Kunst, Kunstmuseum Sankt Gallen, Februar - Mai 2001

Vor vier Jahren habe ich versucht, eine der Geschichten von Marcel van Eeden nachzuerzählen. Sie war in der Tübinger Ausstellung, „Der Archäologe“, zu sehen und ist auch in Darmstadt dabei: „Celia“.

Text und Fotos: Wojciech Sztaba

Marcel van Eeden
"The Darkest Museum of the World"
Mathildenhöhe Darmstadt
13.11.2011 - 19.2.2012

weitere Texte