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Damar
Auf dem Flohmarkt

 

 

Neulich wurde ich wieder gefragt, ob ich zu jedem Spielkartenbild eine Geschichte habe. "Ich könnte", antwortete ich, "aber wozu, je weniger Geschichten, desto besser. Genügen die Karten mit ihren verschiedenen Mustern auf der Rückseite und mit dem Verlangen nach Gewinn auf der Frontseite selbst nicht dazu, dass man sich allein das vorstellen kann, was einen befriedigt?"

Vor einigen Tagen habe ich eine Geschichte für zwei Euro bekommen. Zwei Euro kostete Eintritt in eine Mehrzweckhalle, wo gerade ein Flohmarkt statt fand.

In der Halle herrschte dumpfe, heiße Luft, durch die Fenster fiel die Sonne auf die Tische, die Verkäufer waren leicht angezogen, die meiste Besucher trugen Winterkleider, wegen der minus fünf Grad draußen. Auf einem Tisch mit Fotoalben, einer Mappe mit Hitlers bunten Landschaften, mit Postkarten, Ordnern und üblichem Kleinkram aus der damaligen Zeit - lagen auch drei Stück Seife. Ich wusste sofort, was für eine Seife es ist. Vielleicht sollte ich eher sagen: ich fühlte es... „Du gehst weiter, das interessiert dich nicht, du suchst nach anderen Sachen” - warnte mich meine Vernunft, doch gelang mir nicht, mich vom Anblick dieser drei nackten Dinge loszureißen. "Warum sind sie nicht eingepackt?", fragte ich den Verkäufer. "Mindestens in Zellophanhülle..." Er guckte mich ohne jeden Ausdruck an. "Die sind ziemlich alt, oder?", fragte ich ihn weiter mit einem Lächeln. Er sagte kein Wort. Aber gerade als meine Vernunft „Geh weg!” schrie - stieß mich meine Dickköpfigkeit in die Richtung der Seife und es half kein „Nein, lass es!” - ich nahm ein Stück in die Hand. Und obwohl ich es sofort zurückgelegt habe, diese kurzen Sekunden genügten, dass meine Finger klebrig und fettig wurden.

Erstarrt drehte ich mich endlich um und ging fort, meine Hand mit gespreizten Fingern hing herunter als etwas fremdes. Ich merkte nicht, ob an den nächsten Tischen irgendwelche Spielkarten lagen - ich sah nur verschwitzte Gesichter von Leuten, die sich durch die Menge an mir vorbei drängten. Aber noch deutlicher sah ich einen Keller in einem Haus, verlassenen von deutschen Besatzern in Warschau in 1945 (2 Jahre bevor ich zur Welt kam), in der eine junge Frau mehrere Kisten mit Seife gefunden hat, und täglich ein paar Stück einem alten Rabbiner brachte - er sollte sie begraben... Meine Hand wurde locker, ich fühlte sie wieder, ein paar mal habe ich sie fest an meinem Mantel abgewischt, als ob ich mit jeder Handbewegung hoffte, auch andere Bilder aus meinem Kopf auszuradieren, wie zum Beispiel eine Stunde auf den Treppen im Lyzeum - ich saß dort, weil ich nicht eine Pflichtlektüre mit anderen Schülern durcharbeiten wollte, sie schilderte, was damals aus dem menschlichen Körper alles gemacht wurde, was für dekorative Gegenstände, wie Taschen und Lampenschirme, ich las es in einem Zug und danach ging ich zur Lehrerin und sagte: "Ich konnte es nicht lesen".

Nach einer Weile fand ich mich wieder auf dem Flohmarkt vor einem Tisch stehen, der voll mit Eisenwaren war, Schrauben, Nägeln, Hammer, Zangen, Pinzetten, und auch mit Blechspielzeug und Blechschildern, und auf einem stand: Pflegestation, betreten auf eigene Verantwortung.

Ich musste lachen, der Verkäufer wartete vielleicht auf irgendeine Frage, aber ich lachte nur und war auf einmal ganz entspannt. Und ganz am Ende, schon beim Ausgang habe ich ein Kartenspiel bemerkt, das mit einer weißen Banderole zusammengehalten wurde. Anscheinend hatte ich es beim Eingang übersehen, jetzt nahm ich es in die Hand, die Rückseiten waren nur weiß, ohne Muster, ohne Werbung, ohne jede Information, weder lustig, noch banal. Ich war froh, eine Leere war mir jetzt lieber, ohne Assoziationen, ohne Erwartung, es kostete 80 Cent, ich bezahlte und ging hinaus.

Februar 2005

 


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