Impressum

Damar Der Schwarze Peter

 

Eine Bekannte, Frau B., gab mir zwei Kartenspiele, Skat in einer Papierverpackung und einen Schwarzen Peter in einer Schachtel. "Der Schwarze Peter ist kaputt, aber das ist Ihnen doch egal, nicht wahr?" Erst zu Hause habe ich mir sie angesehen, das 40 Jahre alte Skatspiel war stark gebraucht doch konnte man noch mit ihm spielen, aber alle sauberen Kinderspielkarten waren in zwei, drei oder sogar vier Teile zerrissen. Sie stellten Volkstrachten dar und der Schwarze Peter war ein Schornsteinfeger. Das Spiel stammte aus der Zeit, als man noch solche Wörter wie Neger und Negerin benutzte. Ich habe aus diesen Karten-Fetzen eine Collage gemacht, fotografierte sie danach und ließ sie, wie immer, auf der Staffelei stehen - bis die nächste fertig werden würde.

Meine Freundin Inge besuchte mich, sah das Bild und sagte: "Kinder zerreißen die Karten, wenn sie verloren haben, ich machte es auch." Als ich ihr danach noch die Skatkarten zeigte, sagte sie: "Die sind genau so, wie du es magst - vergilbt und von vielen Händen berührt."

Und gerade nachdem Inge weggegangen war, kam Frau B., die mir diese beiden Spielkarten gegeben hatte, mit ihrer Tochter Agnes. Sie wollte die Bücher abholen, die ich ihr versprochen hatte. Während wir uns unterhielten und ich die Bücher in eine Plastiktüte einpackte, ging Agnes, ein ungefähr zwölfjähriges Mädchen, in mein Zimmer, die Tür war offen, und plötzlich hörten wir ihren Schrei: "Nein, nein und nochmals nein!" Wir liefen zu ihr und sahen, wie sie mein Schwarzer-Peter-Bild herunterriss und auf den Boden warf. Frau B. stand wie angenagelt da, ich hinter ihr, und Agnes schrie: "Was erlaubst du dir, aus dem Mülleimer das herauszuholen, was ich weggeworfen habe? Es sollte verschwinden, verstehst du es nicht! Warum gibst du jemandem fremden meinen Müll?!"


Ich war froh, dass unsere Nachbarn nicht zu Hause waren. Agnes trat das Bild und strich sich daran die Schuhe ab, als ob es eine Fußmatte wäre. Unter ihren Füssen hatten sich gerade die Eskimo-Frau, die Holländerin und der Federbusch des Indianers abgelöst. Dann hob sie es auf und warf es in meine Richtung. "Denkst du, dass ich meine Karten für dich so zerrissen habe?" Ihre Mutter hielt das Blatt fest, stand aber weiter ganz steif da. Ich lachte, nahm das Bild aus ihren Händen und zerriss es in vier Stücke. Dabei fielen mehrere Teile von Spielkarten auf den Boden: die Russin mit dem großen Brot, die Ungarin im weißen Kleid, der Mexikaner mit den Rasseln... - Ach, was soll's! dachte ich.

Agnes schüttelte die Mutter: "Bring mir sofort eine Plastiktüte!" Frau B. rührte sich nicht von der Stelle. Ich ging in die Küche und während ich nach einer besonders schönen Tüte suchte, hörte ich ein Geräusch vom Reißen des Papiers. Als ich zurück kam, stand Frau B. am Fenster und Agnes saß auf dem Boden über den Papierfetzen. Ich reichte ihr die Tüte, eine blaue mit weißen Wolken, "bitte", sagte ich. "Bitte!", wiederholte sie bissig und riss mir die Tüte aus der Hand. Als sie alles eingepackt hat, sah sie die Mutter an und sagte: "Ich werde das dort wegwerfen, wo du es nicht finden kannst. Was hast du noch aus dem Müll herausgeholt?!"

Und sie ging weg, aus dem Zimmer, aus dem Haus, und es wurde still. Ich stellte mich neben Frau B. ans Fenster, und da die Wohnung im niederen Parterre ist, sahen wir Agnes ganz nah vor uns. Sie war draußen, wir blieben im Zimmer, nur die Glasscheibe uns trennte. Eine Weile stand sie mit dem Rücken zu uns, unsicher, in welche Richtung sie sich wenden sollte. Ich fürchtete, dass sie sich umdreht und ihre Mutter und mich anschauen wird, aber nein, sie ging mit schnellen Schritten fort. "Ich muss auch los", flüsterte Frau B. und ging raus; sie machte alle Türen hinter sich zu, sogar die Tür meines Zimmers, in dem ich mich noch befand. Irgendwann später habe ich unter meinem Bett ein mittleres Stück von der Schwarzer-Peter-Karte gefunden, mit dem Hut und der Leiter, und ich habe es sofort zerrissen und weggeworfen.
Und noch später, es waren einige Tage vergangen, in denen ich täglich eine Collage aus verschiedenen Spielkarten gemacht hatte, rief Agnes an und fragte, ob sie die Bücher abholen könnte. "Meine Mutter hat sie damals vergessen." Und sie kam, wollte nicht rein, " ich habe es von meinem Geld gekauft", sagte sie als sie mir das noch in Folie verpacktes Kartenspiel reichte, "leider keine Trachten, nur ein Mädchen und ein Junge spielen miteinander in jeder Jahreszeit. Es sind jetzt Ihre Spielkarten, niemand früher hat sie benutzt, Sie können mit ihnen machen was Sie wollen".

2004

 

- Konversationsstunde - Der Schwarze Peter - Auf dem Flohmarkt - Der liebe Goethe